Ein Abgrund so finster

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​Wer hat schon von den Roten Khmer gehört? Um ehrlich zu sein, hatte ich ich vor einigen Jahren nur eine sehr vage Vorstellung von Kambodscha. Ich wusste, dass sich der Vietnamkrieg bis hierher ausgedehnt hatte und dass es einen Völkermord gab. Abgesehen von Angkor Wat, über dass ich auch nichts weiter wusste, war Kambodscha damit ein weißer Fleck auf der Landkarte.

Leider hat sich hier von 1975 bis 1979 schreckliches ereignet.

Kambodscha wurde mit in den Vietnamkrieg gezogen, als die Vietnamesische Befreiungsarmee auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad den Nachschub organisierte und dieser Pfad unter anderem durch den Osten Kambodschas führte. Die USA bombardierten daraufhin weite Teile des Landes und die Bevölkerung floh in die Städte. In dieser Zeit entstanden die Roten Khmer unter der Führung Pol Pots aus der kommunistischen Partei Kambodschas. Zu dieser Zeit wurden sie sogar im Geheimen von der CIA unterstützt, weil sie im Osten gegen vietnamesische Kommunisten kämpften.

Am 17. April 1975 marschieren die Roten Khmer in Phnom Penh ein. Sie wurden wie Helden gefeiert und galten als Befreier. Sie begannen sofort mit der Räumung der Stadt, innerhalb von zwei Wochen wurde Phnom Penh entvölkert und die Bewohner auf das Land umgesiedelt. Bei diesen Märschen starben bereits Tausende an den Strapazen. Der Plan war die Überführung Kambodschas in einen Agrarkommunismus. Die Stadtbevölkerung wurde zu Landarbeiten gezwungen, auch wenn die Meisten kein Wissen über den Reisanbau besaßen. Moderne Hilfsmittel und Maschinen waren untersagt und wurden systematisch zerstört. Jeder, der die Befehle in Frage stellte oder missachtete galt als Feind der Angkar, der Organisation, wie sich die Roten Khmer selbst bezeichneten, und wurde getötet. Wer eine Fremdsprache sprechen konnte, eine Brille trug oder offensichtlich die Universität besucht hatte oder auch nur weiche Hände hatte, ein Zeichen, dass die Person nicht auf den Feldern arbeitete, galt als Feind und musste mit dem Tod rechnen. Es wurden zahlreiche Gefängnisse errichtet, so auch Tuol Sleng, dass in einer ehemaligen Schule in Phnom Penh untergebracht war. Dorthin wurden die Verdächtigen gebracht, ein Verdacht kam dabei schon der Schuld selbst gleich. Die Gefangenen wurden oft nachts aus ihren Behausungen geholt und mit verbundenen Augen in die Gefängnisse gefahren. Ohne zu wissen, wo sie sich befanden, wurden ihnen Geständnisse unter der Folter abgerungen. Wenn das nicht genügte, wurde die Folter fortgesetzt.

Tuol Sleng, auch Sicherheitszentrum S-21 genannt, wurde von Kaing Guek Eav, auch bekannt als Duch, geführt. Duch ging sehr akribisch vor und erstattete peinlich genau Bericht an seine Vorgesetzten. Bisweilen kam es sogar vor, dass selbst Anhänger der Roten Khmer nach S-21 gebracht wurden, sei es durch die Nichterfüllung der Erntepläne oder durch verdächtiges Verhalten. Die Angkar agierte mit absoluter Geheimhaltung. Die meisten Menschen wussten im Grunde nicht, wem die Führung oblag.

Besonders nah ging mir die Geschichte von Kerry Hamill, ein Neuseeländer, der zusammen mit einem Freund um die Welt segelte. In kambodschanischen Gewässern wurden beide verhaftet und unter dem Verdacht CIA oder KGB-Agenten zu sein nach S-21 gebracht. Keiner hat es überlebt. Was macht mich so betroffen? Ich habe dazu einen stärkeren Bezug, weil Kerry Hamil aus der westlichen Kultur stammt und ich mich leicht mit ihm identifizieren kann. Hinzu kommt, dass er während einer Reise gefasst wurde und im Grunde nicht wusste weshalb. So absurd es auch klingt, ich begreife den Schrecken leichter, wenn jemand aus der eigenen Kultur betroffen war. Es erleichtert mir die Vorstellung, dass genauso gut auch ich in einer der Zellen sitzen könnte. Durch die absolute Geheimhaltung der Angkar konnte Hamill nichts von dem Grauen vorhersehen, dass ihn hier erwartete.

In Tuol Sleng sollte niemand getötet werden, auch wenn dies immer wieder geschah. Wenn die Verhöre abgeschlossen waren, wurden die betreffenden Gefangenen nach Choeung Ek, den Killing Fields, gebracht. Davon gab es mehrere in Kambodscha, die vor dem Toren Phnom Phens sind jedoch die bekanntesten. Dort wurden die Gefangenen innerhalb kürzester Zeit hingerichtet, um Munition zu sparen wurden sie entweder zu Tode geschlagen oder ihnen wurde der Hals mit der sehr zackigen und scharfen Rinde der Zuckerpalme aufgeschlitzt. Über 14000 Tote wurden dort in Massengräber verschart und bis heute bringt der Regen Überreste ans Tageslicht.

Erinnerungen an Tuol Sleng und die Killing Fields.


Heutzutage sehr friedlich.

Als 1979 vietnamesische Soldaten in Kambodscha einmarschierten, flohen die Roten Khmer. In Tuol Sleng wurden die Akten nicht vernichtet und Duch musste die Flucht antreten. 1999 wurde er von Journalisten identifiziert und angeklagt. Während er zu Anfang jegliche Verantwortung abstritt, lieferte er später ein umfassendes Geständnis und zeigte Reue für seine Taten. 2012 wurde er endgültig zu lebenslanger Haft verurteilt.

Es ist ein sehr dunkles Kapitel der Geschichte.Die Paranoia der Roten Khmer war allumfassend und richtete sich gegen Jedermann. Die Devise lautete: besser einen Unschuldigen töten als einen Feind am Leben lassen. Angesichts der Tatsache, dass man im Grunde zu jeder Zeit um sein Leben fürchten musste, begreife ich, dass es damals keinen ernsthaften Widerstand gegeben hat. Gegen wen hätte er sich richten sollen? Es herrschte Chaos und die Geheimhaltung der Angkar sorgte dafür, dass nur sehr wenige wussten wer an der Spitze agierte. Das System war ein Selbstläufer, da der Genozid selbst vor Anhängern der Roten Khmer nicht Halt machte.

Auch wenn wir durchaus mehr in Phnom Penh gesehen haben, nehmen mich diese beiden Orte sehr mit. Im Hostel hat mich jemand gefragt, ob ich das Kriegsrestemuseum im Vergleich zu Tuol Sleng schlimmer finde. Ehrlich gesagt nein, auch wenn mir der Vergleich nicht gefällt. Allerdings scheine ich bereits so viel über Krieg gelesen zu haben, dass mich die Gräueltaten im Vietnamkrieg zwar entsetzen, ich jedoch mit ihnen gerechnet habe. Der Terror der Roten Khmer dagegen kommt mir so unberechenbar vor.


Es gibt auch schöne Dinge in Phnom Penh zu sehen.

  1. Lilo Hartung

    Wo haben die USA und die CIA eigentlich nicht mitgemischt?